Über die Bedeutung von Vertrauen – von Dolores Richter
Wo stehen wir in unseren Freundschaften? Wie geht es unserer Liebesfähigkeit, unserer Partnerschaft, unserer Gemeinschaft? Wie entspannt und wie ausgerichtet sind wir miteinander? Schenken wir einander Vertrauen?
Dolores Richter hat sich im folgenden Artikel mit der Bedeutung des Vertrauens auseinandergesetzt: Was ist Vertrauen eigentlich? Wie entsteht es? Wie gehen wir mit enttäuschtem Vertrauen um? Kann ich Vertrauen schenken?
Umgangssprachlich ist Vertrauen eine subjektive Überzeugung, ein Glauben von der Richtigkeit oder der Wahrheit von Handlungen anderer. Wir vertrauen, wenn das Handeln anderer ähnliche Werte ausdrückt, die uns selbst wichtig sind. Wenn uns zum Beispiel Verlässlichkeit ein hoher Wert ist, und wir einen Menschen als verlässlich erleben, entsteht in uns Vertrauen. Stärker wird das Vertrauen, wenn andere Werte auch erfüllt werden. Wir brauchen zum Beispiel das Gefühl, dass die Person ehrlich ist, oder dass sie aktiv kommuniziert. Oder dass sie Engagement dafür zeigt, dass unsere Verbindung lebendig bleibt. Je mehr wir solche Erfahrungen sammeln, steigt unser Vertrauen.
Und: Vertrauen hat eine Innen- und eine Außenvoraussetzung. Ob ich durch deine Verlässlichkeit Vertrauen in mir entwickle, hängt auch damit zusammen, ob ich vertrauen kann. Vertrauen können ist eine Haltung und eine Fähigkeit. In diesem Fall hat sie unter anderem auch damit zu tun, ob ich die Qualität, in die ich bei dir vertraue, in mir habe. Wenn ich zum Beispiel selbst nicht verlässlich bin, habe ich es schwerer, anderen zu in ihrer Verlässlichkeit zu vertrauen..
Wovon hängt denn noch ab, ob ich vertrauen kann?
Vertrauensfähigkeit hängt mit unseren Erfahrungen zusammen und damit, wie wir Erfahrungen reflektieren und bewerten. Wir ziehen instinktiv Schlüsse aus dem, was wir bisher erfahren haben und schauen entsprechend in die Welt. Wenn wir sehr viele Erfahrungen mit Unzuverlässigkeit gemacht haben, wird es uns schwerer fallen, jemanden in der Hinsicht zu vertrauen. Aber wir können Situationen auswerten, die Hintergründe begreifen, warum jemand entsprechend gehandelt hat, mit der Person ins Gespräch gehen darüber. Oft löst sich Unverständnis oder Misstrauen dadurch auf und eine neue Basis für Vertrauen ist gelegt.
Ein weiterer Faktor ist, wie wir überhaupt gerade im Leben stehen. Wenn wir uns geliebt fühlen, ökonomisch auf sicherem Boden stehen, eingebettet sind in ein nährendes Freundschaftsnetz oder in einer spirituellen Praxis verankert sind, können wir mehr Vertrauen schenken, als wenn wir gerade zwischen allen Stühlen stehen.
Und es gibt Menschen, die unabhängig von äußeren Umständen vertrauensvoll in die Zukunft schauen. Manche bringen Vertrauensfähigkeit mit auf die Welt oder sind in einer vertrauensfördernden Umgebung aufgewachsen. Andere haben sich diese Haltung angeeignet durch Reflektion, Kommunikation und immer wieder die Entscheidung, auf Vertrauen zu setzen.
Wenn wir Vertrauen vorausschicken, ziehen wir entsprechende Erfahrungen an…
Vertrauen ist eine Haltung und auch eine Fähigkeit, die wir uns erwerben können, ja, in die wir hineinwachsen, je mehr wir selbst integer sind und uns selbst vertrauen.
Im Kern geht es um eine vertrauensvolle Beziehung mit dem Unbekannten. Eine neue Situation braucht einen Vertrauenssprung. Sie verlangt von uns, ein Risiko in Bezug auf etwas oder jemanden einzugehen. Und je größer das Risiko ist, das von uns verlangt wird, desto mehr Vertrauen ist nötig, diesen Sprung zu machen.
Vertrauen ist der Begleiter in etwas Unbekanntes: da ich nicht sicher sein kann, was kommen wird, gebe ich Vertrauen, dass es „gut“ wird. Ich gebe mich hin, dass ich nicht wissen kann, was wird und verbinde mich mit der Möglichkeit des Gelingens.
Vertrauen ist ein Zustand von Entspannung und Zuversicht. Und eine Haltung, die etwas „Gutes“ erwartet. Insofern ist Vertrauen nicht passiv, es ist vielmehr eine aktive Art, unser Leben zu reflektieren und Erfahrungen so einzuordnen, dass wir im Vertrauen bleiben können. Dazu gehört gegebenenfalls, dass wir etwas ansprechen müssen, was unser Vertrauen ins Wanken gebracht hat. Oder vermitteln, welche Bedeutung ein Wert für uns hat und warum. Wir müssen uns sichtbar machen in dem, was uns wichtig ist.
Manche Menschen haben ein eher kindliches Vertrauen. Da wollen wir etwas haben, was wir erwarten und sind enttäuscht, wenn es sich nicht erfüllt. Das Sprichwort „Vertraue auf Gott und binde dein Kamel an“ weist darauf hin, dass Vertrauen nicht einfach geschehen lässt, sondern selbst mit dafür sorgt, dass das Gewünschte eintreten kann. So kann ich zum Beispiel aussprechen, was ich mir wünsche, damit meine Freunde nicht im Nebel angeln und erraten müssen.
Das ist entscheidend auch für die Frage, wie wir mit enttäuschtem Vertrauen umgehen. Es kann sein, dass wir jemandem Vertrauen geschenkt haben, dieser aber gar nicht wusste, worin wir vertrauen. Wir haben unsere Erwartungen gar nicht miteinander besprochen. Zum Beispiel kann jemand gedacht haben, dass Freunde mehr für ihn dasein würden, wenn sie näher zusammenleben würden. Wenn das dann nicht eintrifft, tritt eine Enttäuschung ein. Unsere Gewohnheit wäre, die Verantwortung für die Enttäuschung dem anderen zu überlassen. Das ist eine Struktur, die uns schon öfter geholfen hat, mit Enttäuschung umzugehen, da wir die unangenehmen Gefühle, die damit verbunden sind, auf diese Weise von uns weghalten können. Wir sind zum Beispiel wütend auf die auslösende Person und halten sie damit auf Abstand. Uns erscheint dieses Verhalten hilfreich, merken aber nicht, dass das eine Gewohnheit ist, die uns nicht in Verbindung bringt. Meist ist aber Verbindung das eigentliche Bedürfnis. Wenn wir die Verantwortung mit übernehmen, dass wir ent-täuscht sind, können wir sehen, was unser Anteil darin war: wo haben wir etwas erwartet oder projiziert, ohne dass die andere Person darum wissen konnte? Wo lade ich diesen Moment mit alten Enttäuschungen auf, die meine Reaktion unangemessen werden lassen?
Wie oft haben wir schon „zuviel“ vertraut… wer hat die Verantwortung? Wenn ich vertrauen gebe, gehe ich ein Risiko ein. Es war meine Entscheidung, das zu tun. Es ist so eine andere Welt, wenn ich Vertrauensvorschuss gebe, ob ich in geöffnetem Zustand bin oder misstrauisch bin. Im geöffneten Zustand kommt die Welt auf mich zu.
Vertrauen ist Zustand von Entspannung und Zuversicht. Wenn ich die Erfahrungen, wo Vertrauen sich gelohnt hat, einen so richtig guten Platz gebe in meinem Leben.
Vertrauen ist auch, wenn ich davon ausgehe, dass ein Mensch im Kern gut ist. Dazu gibt es einen schönen Satz im Taoteking. „Der Meister vertraut dem, der vertrauenswürdig ist. Und der Meister vertraut dem, der nicht vertrauenswürdig ist“.
Das spricht von hoher Selbst- und Menschenkenntnis. Wo ich in meinem Vertrauen nicht mehr abhängig bin von dem, was du tust, weil ich weiß, wer Mensch ist, dass Menschen Phasen haben von Misstrauen und Ängsten. Wenn ich darunter den Kern ansprechen kann, öffne ich eine Tür in einen präsenten Kontakt.
Unsere Vertrauensfähigkeit ist ein Lebenszustand und auch etwas, das wir aushandeln, immer wieder neu. Vor allem in den ersten Jahren, wenn wir einen Menschen kennenlernen. Wichtig ist auch, dass Vertrauen Zeit braucht. Gerade in der Liebe machen wir oft diesen Fehler, dass wir zu schnell alle unsere Erwartungen auf einen Menschen packen, statt zu sehen, wer der andere ist.
„Sehen ist lieben“. Können wir einen Menschen in seinem Wesen sehen, lieben wir. Das ist eine Erfahrung, die wir in den vielen Jahren unseres Gemeinschaftsaufbaus immer wieder gemacht haben. Je tiefer wir schauen und je tiefer wir uns sehen lassen, finden wir eine Ebene von Liebe und Vertrauen, die immer stabiler wird.
Dolores Richter leitet mit Kolja Güldenberg die Jahresgruppe „Liebeskunstwerk“, in der wir über ein Jahr lang in vier Modulen Bedingungen für ein Gelingen der Liebe erforschen und fahren.