HerzSex&Spirit – Forschungsseminar für Multiplikator*innen

16.-19.2.2023 im ZEGG

mit Dolores Richter, Michael Anderau, Hanna Milling und Bernhard von Glasenapp

Wir erforschen persönliche und kulturelle Bedingungen für das Gelingen von Liebesbeziehungen und Sexualität. Wir erforschen sie an uns selbst, um unser Wissen authentisch an andere weitergeben zu können. Wir sehen Beziehungsfähigkeit und heilsame sexuelle Liebe als einen Schlüssel für unsere Verbindung zu unserem Körper, zur Erde und der Natur. Sie sind auch der Boden für eine echte Kooperation von Frauen und Männern. Was braucht es in einer Beziehung und in Gemeinschaft, dass wir gerne unsere Herzen öffnen, uns einlassen, der Kraft des Eros begegnen und miteinander ehrlich sein können?

Themenbereiche:
– ein Blick in die Geschichte der Geschlechterdynamik und ihr Einfluss auf uns heute
– Möglichkeiten, diese zu transformieren im Kontakt zu unserem Körper, Gefühlen & Bedürfnissen
– eine vertiefte Kooperation von Frauen und Männern
– ehrliche und verbindende Beziehungskommunikation und heilsamer Sex

Das Liebeskunstwerk ist eine Plattform, die seit vielen Jahren Menschen in diesem Sinne ausbildet und vernetzt. Von dort aus ist auch die Liebesschule für junge Erwachsene entstanden, für die wir  Multiplikator*innen / Gruppenleiter*innen weiterbilden wollen.

Wenn du dabei sein willst, schick uns eine kleine Bewerbung mit 10 Sätzen: was ist deine Vorerfahrung? Welches Wissen bringst du mit? Wo wendest du es an oder wie möchtest du es anwenden? Willst du Treffpunkte schaffen für junge Erwachsene? (Das ist keine Bedingung, aber wird ggf bevorzugt behandelt). An: dolores (at) zegg-gemeinschaft.de

Wir freuen uns auf euch!
Dolores & Michael

Ein neuer Zyklus beginnt..

Seit bald 30 Jahren beginnt immer um diese Zeit ein neuer Zyklus für mich: eine neue Gruppe von Menschen findet sich zusammen, um ein Jahr lang lebendige Liebe, stimmige Beziehungsformen, präsente Kommunikation und einen wilden Frieden unter Frauen und Männern zu erforschen. Es entsteht eine Gemeinschaft auf Zeit, die bei vielen noch über Jahre trägt. In diesen Gruppen entsteht ansatzweise eine Kultur, in der die Beziehungen unter Menschen mit all ihren Widersprüchen und Herausforderungen in eine transparente, freudigere und verantwortlichere Dimension gehoben werden.
 
Wir erleben auf diesem Weg, dass es für viele Zeit und tiefe neue Entscheidungen braucht, bis sie die Liebe zu sich selbst finden und Liebe von anderen Menschen an sich heranlassen können. Uns der Liebe mehr zu öffnen ist ein wesentlicher Schritt für die Heilung der Liebe in und um uns. Gleichzeitig ist das kein isolierter Vorgang, denn die Welt, wie sie ist, wirkt auch in unser Lieben und umgekehrt. Wir betrachten und erfahren die Liebe im Kontext unserer kollektiven Herkunft und gesellschaftlichen Situation und versuchen die anstehende Transformation von beiden Seiten her zu ergreifen. Bei alldem ist entscheidend, wie wir mit uns in Kontakt sind und wahrnehmen können, was in uns und in anderen geschieht. Je mehr wir mit uns vertraut werden, umso feiner können wir Bezogenheit geben und erfahren. Diese schenkt uns einen heilsamen Boden. Das verändert die Qualität im Umgang mit Schwierigkeiten auf positive Weise. Im besten Fall werden wir von Konsumenten zu Liebenden. Diese Drehung ist nicht nur für unsere Beziehungswelt relevant, sondern auch für unser Wirken im Beruf und wie wir Gesellschaft gestalten.   

Ich freue mich, von euch zu hören, zu lesen, und hoffe, euch bald wieder zu sehen.
Dolores Richter
——————————-

LIEBESKUNSTWERK im ZEGG
Willst du dich der Lebendigkeit deiner Liebe, Beziehungsfähigkeit und Sexualität widmen? Willst du gemeinsam an Bedingungen forschen, wie Lieben gelingt? Bist du beruflich oder menschlich engagiert, andere in Liebe, Sex, Beziehungskommunikation und Ehrlichkeit zu unterstützen? Interessiert dich der Aufbau einer authentischen Liebeskultur?
Wir freuen uns auf Singles und Paare, Coaches und Netzwerker, die mit uns in vier Modulen mit einer kontinuierlichen Gruppe durchs Jahr gehen. Inspiration, Wissensvermittlung, transformierende Übungen, Erfahrungsräume, Austausch, wesentliche Begegnungen mit sich selbst, anderen Menschen, dem eigenen Körper und der Natur sind Elemente des Jahrestrainings.

JAHRESGRUPPE LIEBESKUNSTWERK mit Dolores Richter & Kolja Güldenberg
Selbstliebe und mein erotisches Selbst
07. – 10.04.2022
Klarheit in Beziehungen    
25. – 29.05.2022
Liebe, Sex und Wahrheit   
07. – 10. 07.2022
Wilder Frieden zwischen Frauen und Männern
14. – 18.09.2022

Frühbucherpreis bis 15.2.22

Info und Anmeldung   Ort: ZEGG Bad Belzig

Das LIEBESKUNSTWERK kreiert einen Raum, in dem sich die Polarität zwischen Freiheit und Verbindlichkeit zu einem nährenden Tanz entwickeln kann. Ein Raum für authentisches Lieben. Es unterstützt eine gesunde Verbindung von Herzensberührung und Lust und begleitet Liebende in der Bewegung zwischen vertiefendem Einlassen und respektvollem Freilassen.             

Stimme einer Teilnehmerin:

Vor der Jahresgruppe des Liebeskunstwerks empfand ich Beziehungen oft als kompliziert, vielleicht sogar etwas bedrohlich und habe sie rückblickend richtiggehend vermieden. Gleichzeitig war da immer diese tiefe Sehnsucht nach Verbindung. Das Liebeskunstwerk hat zu tiefer Selbsterkenntnis geführt und mir eine Sprache geschenkt, mit der ich nun Dinge benennen und in Kontakt mit anderen bringen kann. Außerdem wurde Vieles, was bisher schief zu laufen schien, offensichtlich und auch erfahrbar. Über diese Einsichten und viel Klarheit hinaus hat das Liebeskunstwerk ganz praktische Aspekte in mein Leben gebracht, mit denen ich meine Beziehungen nun im Alltag gestalte. Es hat mich unwahrscheinlich bereichert und ist ein Geschenk für jeden, der in diesem Gebiet forschen mag. 

Verena, 45 J., Transformational Coach

                                                       

Global Social Witnessing

Global Social Witnessing – Globale Zeugenschaft entwickeln –  von Dolores Richter

In meinem Vortrag im diesjährigen Sommercamp „Intimität & Transformation“ (https://sommercamp.zegg.de/de/live#day-7) erwähnte ich eine Meditationspraxis, die ich in einer kleinen Gruppe seit mehreren Jahren praktiziere. Da einige Nachfragen kamen, was das ist und wo man sich da anschließen könnte, hier einige Antworten.

Meine persönliche Suche mit Global Social Witnessing war die Frage, wie ein sinnvoller Umgang mit Weltnachrichten aussehen könnte. Ich bin Teil dieser Welt, möchte teilhaben und anteilnehmen an dem, was auf ihr geschieht. Und ich bemerke, wenn ich Nachrichten lese, dass ich mich immer wieder dabei emotional verschließe. Denn es ist schlicht überfordernd, manche Nachrichten an mich heranzulassen. Das ist bestimmt ein sinnvoller Schutz. Aber es gibt auch Nachrichten, denen möchte ich mich stellen, da möchte ich Raum geben, mitfühlen und tiefer wahrnehmen. Dieser Wunsch hat dazu geführt, mich mit dem Global Social Witnessing zu befassen.
 
Was ist Global Social Witnessing?
Thomas Hübl hat den Begriff geprägt und erklärt ihn so:
„Unsere Erkenntnis ist, dass kollektive Traumata den meisten Konflikten zugrunde liegen – meist unerkannt und oft unbewußt. Nur wenn man das miteinbezieht, ist eine adäquate Heilung und Friedensstiftung möglich. Voraussetzung dafür ist zuallererst die Fähigkeit, ein präzises und umfassendes Bild davon zu erlangen, was überhaupt geschieht. Diesen Erkenntnisprozess nennen wir Global Social Witnessing. Es ist die Fähigkeit, den kulturellen Prozess auch fühlen zu können, und sich mit ihm zu identifizieren. Es ist das Bewusstsein, dass sich der soziale Körper durch uns entwickelt. Das umschließt auch eine Vision dessen, was sich entwickeln kann, und Methoden, die den Weg dahin fördern. …
Ein Mensch, der das Innenleben eines anderen Menschen in sich abbilden kann, bildet die Fähigkeit des Mitgefühls aus. Mitgefühl ist kein rein kognitiver Prozess, sondern eine Komposition aus der physischen, der emotionalen und der mentalen Abbildungsfähigkeit. Die innere Abbildung der Erfahrung eines anderen Menschen in mir schafft echte Anteilnahme, und dadurch einen Handlungsradius, der die Voraussetzung für wirklich heilsames und potentialförderndes Wirken ist. Das ist die Grundlage von Ver-Antwortung.

Das gleiche gilt für den kollektiven Kontext. Wenn wir die Vorgänge und Prozesse, die in der Gesellschaft geschehen, in uns abbilden können, werden wir zu einem erwachsenen und integrierten Bürger einer Nation oder Kultur. Das bedeutet, dass erst wenn ich eine physische, emotionale und mentale Abbildung von Ereignissen in mir erzeugen kann, erst dann kann ich mich wirklich darauf beziehen. Diese Beziehung bewirkt wiederum, dass ich zu einer angemessenen, nicht reaktiven, sondern kreativen Handlung kommen kann. Je mehr ich von den Ereignissen und Prozessen der Kultur, in der ich lebe, ausblende, oder mich davon dissoziieren muss, desto weniger kann ich zu einer adäquaten Antwort und Handlung darauf kommen.“

Kosha Joubert, Mitarbeiterin von Thomas Hübl, bietet eine monatliche Zoom-Veranstaltung in Global Social Witnessing an:
„Im Pocket Project bieten wir alle zwei Wochen einen öffentlichen Call an – einmal Community Calls, in denen Basispraxis zur Vorbereitung für Global Social Witnessing vermittelt werden und einmal die Global Social Witnessing Calls selber, jeden Monat zu einem anderen Thema Mehr info‘s hier: https://pocketproject.org/global-social-witnessing/

Und hier: https://pocketproject.org/community-calls/

Heike Pourian beschreibt die Praxis der Meditationsgruppe in ihrem neuen Buch „Wenn wir wieder wahrnehmen – wach und spürend den Krisen der Welt begegnen“

„Über mehrere Jahre gehörte ich einer Gruppe an, die ausprobierte, wie eine politisch orientierte Meditationspraxis aussehen kann. Einmal die Woche trafen wir uns morgens. Wir kamen – online – zusammen und teilten, welche Aspekte des aktuellen Weltgeschehens uns bewegten, beunruhigten, erschütterten. Meist war sehr eindeutig, welchem Thema wir uns am jeweiligen Tag zuwenden wollten. Dann übten wir, unsere Aufmerksamkeit dorthin zu lenken und dort zu bleiben, auch wenn es schwer zu ertragen war. Und darum ging es ja: den Schmerz der Welt eben nicht aushalten, indem ich mich anspanne und hoffe, dass es schnell vorüber geht, sondern mich öffnen, empfänglich werden, dableiben. Es war keine Meditation im eigentlichen Sinne, kein völliges Leersein, kein Einswerden mit dem universellen Frieden. Auf jeden Fall war das nicht unser Ausgangspunkt oder Zugangsportal. Wir praktizierten vielmehr eine Art von Kontemplation, eine Übung in Präsenz und Öffnung – in jener Qualität, die ich im Kapitel Wahrnehmen beschreibe: die Welt in mir abbilden. War es möglich, jede Woche aufs Neue zu sitzen und anzuerkennen: All das geschieht gerade auf diesem Planeten? Kann ich mir abverlangen, dafür Raum zu schaffen in mir und die →Gewalt der vorenthaltenen Aufmerksamkeit wenigstens einen Hauch zu schmälern – dadurch, dass ich mich zuwende, statt zu ignorieren, auszublenden oder mich abzuspalten? ….“

Zuwenden wurde mir dabei ein wirklich hilfreiches Wort. Ich erlebe es als räumlichen, als körperlichen Vorgang. Ich richtete mich wirklich mit meiner Vorderseite, mit Gesicht und Herz Richtung Südosten aus, als wir uns dem Krieg in Syrien zuwandten. Und als wir uns der Gewalt an Europas Südgrenzen widmeten, setzte ich mich so, dass ich nach Süden schaute. Es war nie vorhersehbar, was dann passieren würde. Zu meinem Erstaunen fand ich mich in der Rolle Europas wieder. Ich war Europa. An meiner Brust prallten Flüchtende ab. Die rigiden Grenzen, Mauern, Zäune, Patrouillen und Schlagbäume bildeten meinen Körperpanzer1, meine verhärtete, verkrustete Angst. Im nächsten Moment stand ich als Grenzpolizist*in da und fühlte meine Dienstmütze, meine Uniform bleiern auf mir lasten – jene Insignien der Macht, die mir das vermeintliche Recht gaben, sicher auf der einen Seite dieser Grenze zu stehen und denen auf der anderen Seite den Zutritt zu verwehren. Ich fühlte die Willkür dieser Grenzen, zu deren Verteidigung ich hier stand und erschrak darüber, wie selbstverständlich wir sie als gegeben hinnehmen. Ich spürte, wie ich mich nicht ausklammern kann aus der Gewalt und Not im Mittelmeer – weder aus der Abschiebungspraxis noch aus den Fluchtursachen. Ich war, ich bin Teil davon. Jede*r in der Gruppe hatte eine ganz eigene Weise, Raum in sich selbst zu schaffen, die Welt zu sich hineinzuholen. Wenn wir nach der vereinbarten Zeit wieder zusammenkamen und von unseren Bildern und Eindrücken erzählten, dann war das, was der Rest des Kreises meinem Erleben hinzufügte, immer eine Bereicherung, eine Perspektiverweiterung. Ich bin an diesen Morgenden zur Weltbürgerin gereift.

Während ich dies schreibe, höre ich die skeptischen Stimmen meiner Leser*innen – vielleicht höre ich sie, weil sie immer wieder auch in mir sind: Und was soll das helfen? Was soll das bringen? Die Menschen ertrinken trotzdem im Mittelmeer. Sie verhungern oder kommen in Kriegen ums Leben. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis wir vertrauen, dass wir auch mit unserer Aufmerksamkeit etwas ausrichten können – auf einer ganz anderen Ebene als der sofortigen unmittelbaren Linderung von Not. Einige aus der Gruppe haben sich dem Projekt Global Social Witnessing2 angeschlossen. Axel Perinchery rief The citizen is present3 ins Leben.

Unsere Treffen veränderten auch meinen Alltag. In Situationen, auf die ich bisher reflexhaft mit Taubwerden reagiert hatte, versuche ich nun, mein Herz zu öffnen für das, was ist – auch wenn ich momentan direkt nichts ändern kann. Ich habe im Kapitel Anerkennen einige dieser kleinen Situationen aufgezählt und bin nicht näher darauf eingegangen, zum Beispiel diese: Ich höre in der Nachbarschaft irgendwo quer über den Hof ein Kind weinen und eine erwachsene Person brüllen. Wie gehe ich heute – nicht immer, aber doch öfter – damit um? Ich versuche, nicht wegzuhören. Wenn ich den Impuls erkenne, mich zu verschließen, mich taub zu machen, lasse ich nicht zu, dass das passiert. Ich nehme innerlich Verbindung mit dem Kind auf und flüstere: „Ich sehe dich. Ich höre dich.“ Ein paar Atemzüge lang übe ich mich in der buddhistischen Praxis des Tonglen4.

2https://www.globalsocialwitnessing.org/

3https://www.thecitizenispresent.com/

Über die Bedeutung von Vertrauen – Gedanken von Dolores Richter

Über die Bedeutung von Vertrauen – von Dolores Richter

Wo stehen wir in unseren Freundschaften? Wie geht es unserer Liebesfähigkeit, unserer Partnerschaft, unserer Gemeinschaft? Wie entspannt und wie ausgerichtet sind wir miteinander? Schenken wir einander Vertrauen?
Dolores Richter hat sich im folgenden Artikel mit der Bedeutung des Vertrauens auseinandergesetzt:
Was ist Vertrauen eigentlich? Wie entsteht es? Wie gehen wir mit enttäuschtem Vertrauen um? Kann ich Vertrauen schenken?
Umgangssprachlich ist Vertrauen eine subjektive Überzeugung, ein Glauben von der Richtigkeit oder der Wahrheit von Handlungen anderer. Wir vertrauen, wenn das Handeln anderer ähnliche Werte ausdrückt, die uns selbst wichtig sind. Wenn uns zum Beispiel Verlässlichkeit ein hoher Wert ist, und wir einen Menschen als verlässlich erleben, entsteht in uns Vertrauen. Stärker wird das Vertrauen, wenn andere Werte auch erfüllt werden. Wir brauchen zum Beispiel das Gefühl, dass die Person ehrlich ist, oder dass sie aktiv kommuniziert. Oder dass sie Engagement dafür zeigt, dass unsere Verbindung lebendig bleibt. Je mehr wir solche Erfahrungen sammeln, steigt unser Vertrauen.

Und: Vertrauen hat eine Innen- und eine Außenvoraussetzung. Ob ich durch deine Verlässlichkeit Vertrauen in mir entwickle, hängt auch damit zusammen, ob ich vertrauen kann. Vertrauen können ist eine Haltung und eine Fähigkeit. In diesem Fall hat sie unter anderem auch damit zu tun, ob ich die Qualität, in die ich bei dir vertraue, in mir habe. Wenn ich zum Beispiel selbst nicht verlässlich bin, habe ich es schwerer, anderen zu in ihrer Verlässlichkeit zu vertrauen..

Wovon hängt denn noch ab, ob ich vertrauen kann?
Vertrauensfähigkeit hängt mit unseren Erfahrungen zusammen und damit, wie wir Erfahrungen reflektieren und bewerten. Wir ziehen instinktiv Schlüsse aus dem, was wir bisher erfahren haben und schauen entsprechend in die Welt. Wenn wir sehr viele Erfahrungen mit Unzuverlässigkeit gemacht haben, wird es uns schwerer fallen, jemanden in der Hinsicht zu vertrauen. Aber wir können Situationen auswerten, die Hintergründe begreifen, warum jemand entsprechend gehandelt hat, mit der Person ins Gespräch gehen darüber. Oft löst sich Unverständnis oder Misstrauen dadurch auf und eine neue Basis für Vertrauen ist gelegt.
Ein weiterer Faktor ist, wie wir überhaupt gerade im Leben stehen. Wenn wir uns geliebt fühlen, ökonomisch auf sicherem Boden stehen, eingebettet sind in ein nährendes Freundschaftsnetz oder in einer spirituellen Praxis verankert sind, können wir mehr Vertrauen schenken, als wenn wir gerade zwischen allen Stühlen stehen.
Und es gibt Menschen, die unabhängig von äußeren Umständen vertrauensvoll in die Zukunft schauen. Manche bringen Vertrauensfähigkeit mit auf die Welt oder sind in einer vertrauensfördernden Umgebung aufgewachsen. Andere haben sich diese Haltung angeeignet durch Reflektion, Kommunikation und immer wieder die Entscheidung, auf Vertrauen zu setzen.
Wenn wir Vertrauen vorausschicken, ziehen wir entsprechende Erfahrungen an…

Vertrauen ist eine Haltung und auch eine Fähigkeit, die wir uns erwerben können, ja, in die wir hineinwachsen, je mehr wir selbst integer sind und uns selbst vertrauen.
Im Kern geht es um eine vertrauensvolle Beziehung mit dem Unbekannten. Eine neue Situation braucht einen Vertrauenssprung. Sie verlangt von uns, ein Risiko in Bezug auf etwas oder jemanden einzugehen. Und je größer das Risiko ist, das von uns verlangt wird, desto mehr Vertrauen ist nötig, diesen Sprung zu machen.
Vertrauen ist der Begleiter in etwas Unbekanntes: da ich nicht sicher sein kann, was kommen wird, gebe ich Vertrauen, dass es „gut“ wird. Ich gebe mich hin, dass ich nicht wissen kann, was wird und verbinde mich mit der Möglichkeit des Gelingens.

Vertrauen ist ein Zustand von Entspannung und Zuversicht. Und eine Haltung, die etwas „Gutes“ erwartet. Insofern ist Vertrauen nicht passiv, es ist vielmehr eine aktive Art, unser Leben zu reflektieren und Erfahrungen so einzuordnen, dass wir im Vertrauen bleiben können. Dazu gehört gegebenenfalls, dass wir etwas ansprechen müssen, was unser Vertrauen ins Wanken gebracht hat. Oder vermitteln, welche Bedeutung ein Wert für uns hat und warum. Wir müssen uns sichtbar machen in dem, was uns wichtig ist.

Manche Menschen haben ein eher kindliches Vertrauen. Da wollen wir etwas haben, was wir erwarten und sind enttäuscht, wenn es sich nicht erfüllt. Das Sprichwort „Vertraue auf Gott und binde dein Kamel an“ weist darauf hin, dass Vertrauen nicht einfach geschehen lässt, sondern selbst mit dafür sorgt, dass das Gewünschte eintreten kann. So kann ich zum Beispiel aussprechen, was ich mir wünsche, damit meine Freunde nicht im Nebel angeln und erraten müssen.

Das ist entscheidend auch für die Frage, wie wir mit enttäuschtem Vertrauen umgehen. Es kann sein, dass wir jemandem Vertrauen geschenkt haben, dieser aber gar nicht wusste, worin wir vertrauen. Wir haben unsere Erwartungen gar nicht miteinander besprochen. Zum Beispiel kann jemand gedacht haben, dass Freunde mehr für ihn dasein würden, wenn sie näher zusammenleben würden. Wenn das dann nicht eintrifft, tritt eine Enttäuschung ein. Unsere Gewohnheit wäre, die Verantwortung für die Enttäuschung dem anderen zu überlassen. Das ist eine Struktur, die uns schon öfter geholfen hat, mit Enttäuschung umzugehen, da wir die unangenehmen Gefühle, die damit verbunden sind, auf diese Weise von uns weghalten können. Wir sind zum Beispiel  wütend auf die auslösende Person und halten sie damit auf Abstand. Uns erscheint dieses Verhalten hilfreich, merken aber nicht, dass das eine Gewohnheit ist, die uns nicht in Verbindung bringt. Meist ist aber Verbindung das eigentliche Bedürfnis. Wenn wir die Verantwortung mit übernehmen, dass wir ent-täuscht sind, können wir sehen, was unser Anteil darin war: wo haben wir etwas erwartet oder projiziert, ohne dass die andere Person darum wissen konnte? Wo lade ich diesen Moment mit alten Enttäuschungen auf, die meine Reaktion unangemessen werden lassen?

Wie oft haben wir schon „zuviel“ vertraut… wer hat die Verantwortung? Wenn ich vertrauen gebe, gehe ich ein Risiko ein. Es war meine Entscheidung, das zu tun. Es ist so eine andere Welt, wenn ich Vertrauensvorschuss gebe, ob ich in geöffnetem Zustand bin oder misstrauisch bin. Im geöffneten Zustand kommt die Welt auf mich zu.
Vertrauen ist Zustand von Entspannung und Zuversicht. Wenn ich die Erfahrungen, wo Vertrauen sich gelohnt hat, einen so richtig guten Platz gebe in meinem Leben.

Vertrauen ist auch, wenn ich davon ausgehe, dass ein Mensch im Kern gut ist. Dazu gibt es einen schönen Satz im Taoteking. „Der Meister vertraut dem, der vertrauenswürdig ist. Und der Meister vertraut dem, der nicht vertrauenswürdig ist“.
Das spricht von hoher Selbst- und Menschenkenntnis. Wo ich in meinem Vertrauen nicht mehr abhängig bin von dem, was du tust, weil ich weiß, wer Mensch ist, dass Menschen Phasen haben von Misstrauen und Ängsten. Wenn ich darunter den Kern ansprechen kann, öffne ich eine Tür in einen präsenten Kontakt.

Unsere Vertrauensfähigkeit ist ein Lebenszustand und auch etwas, das wir aushandeln, immer wieder neu. Vor allem in den ersten Jahren, wenn wir einen Menschen kennenlernen. Wichtig ist auch, dass Vertrauen Zeit braucht. Gerade in der Liebe machen wir oft diesen Fehler, dass wir zu schnell alle unsere Erwartungen auf einen Menschen packen, statt zu sehen, wer der andere ist.

„Sehen ist lieben“. Können wir einen Menschen in seinem Wesen sehen, lieben wir. Das ist eine Erfahrung, die wir in den vielen Jahren unseres Gemeinschaftsaufbaus immer wieder gemacht haben. Je tiefer wir schauen und je tiefer wir uns sehen lassen, finden wir eine Ebene von Liebe und Vertrauen, die immer stabiler wird.

Dolores Richter leitet mit Kolja Güldenberg die Jahresgruppe „Liebeskunstwerk“, in der wir über ein Jahr lang in vier Modulen Bedingungen für ein Gelingen der Liebe erforschen und fahren.

Kulturwandel Jetzt – von Kolja Güldenberg

Das Zegg ist ein lebendiges, gelebtes Gemeinschaftsexperiment mit 110 Erwachsenen und Kindern als BewohnerInnen. Es ist ein Ort des Lernens und der (inneren) Ausbildung.
Mit unserer Bildungsarbeit möchten wir zum gesellschaftlichen Kulturwandel beitragen und Impulse dafür setzen, dass Gemeinschaftsprojekte entstehen.

Klimawandel, Rechtspopulismus, Flüchtlingsströme: Wir leben in herausfordernden Zeiten.

Das kapitalistische Wirtschaftssystem und das dazugehörige Glaubenssystem des Mangels suggerieren uns, dass wir gegeneinander um knappe Ressourcen kämpfen müssen.
Ein paar Gewinner, viele Verlierer.
Der Verlust gemeinschaftlicher Strukturen, Vereinzelung und Überlebenskampf sind die Symptome einer über 500 jährigen Eroberungsgeschichte durch die patriarchal geprägten europäischen  Nationen.

Aber leben wir tatsächlich im Mangel auf diesem wunderschönen blauen und grünen Planeten?
Ist nicht vielmehr – wie Gandhi es so klar formuliert hat – genug für Jedermann da, nur nicht für Jedermanns Gier?
Können wir dieses falsche Glaubenssystem entlarven und verändern?

Jede Kultur hat ihre Mythen, wie der Aktivist und Autor Charles Eisenstein so treffend analysiert. Der Mythos des Mangels und des notwendigen Kampfes um Ressourcen funktioniert global für viel zu wenige.
Was also ist die neue Geschichte, die wir schreiben wollen?

Für mich hat diese neue Geschichte viel damit zu tun, einfach und gut leben zu lernen.
Mit weniger materiellen Dingen zufrieden zu sein, wirft uns auf unsere innere Zufriedenheit zurück: Erlebe ich Fülle in mir, auch ohne materielle Reize und Zuwendung von außen?
Wenn wir uns auf unsere echten Grundbedürfnisse zurück besinnen und uns in uns selber beheimaten, sind wir damit weniger käuflich.
So könnte Selbstliebe zu einer politischen Kraft werden, weil Menschen mit innerer Fülle viel weniger manipulierbar sind, klar sagen, was sie denken und selbstverantwortlich handeln.

Ein weiteres Kernthema ist die Frage unserer eigenen Liebes- und Beziehungsfähigkeit.
An ihr entscheidet sich häufig, ob wir an ein erfülltes Leben glauben oder resignieren und unser Herz so stark schützen, dass wir nur noch wenig fühlen.

„In jüngerer Zeit entwickelt sich ein neues Bewusstsein in der Liebe.

  • Wir können Liebe und Sexualität gestalten.
  • Wir können Beziehungsformen gestalten.
  • Liebe fällt uns nicht (nur) zu, wir können Liebe verstehen, annehmen und lernen.
  • Romantische Gefühle müssen ergänzt werden durch Verständigung, Empathie und klare Entscheidungen.
  • Mehr als den „richtigen“ Partner brauchen wir Selbstkenntnis, Kommunikationsfähigkeit und ein gutes Leben / eine sinnvolle Lebensführung.

Da Liebesbeziehungen heute deutlich weniger eingebettet sind in soziale Strukturen, ist der Erfüllungsdruck auf den jeweiligen Partner und die Beziehung sehr hoch. Viele Paare fühlen sich überfordert, da sie nicht nur Beziehung und Familie aufbauen, sondern auch die Frage nach Glück, Sinn, Heimat, Geborgenheit, Freiheit, Abwechslung, spirituelles Wachstum und berufliche Unterstützung über die Partnerschaft gefunden werden will.
Deshalb brauchen wir Lernwege, Liebesschulen, Orte, Gruppen, Gemeinschaften und Freunde, mit denen wir Bedingungen schaffen können für ein Gelingen der Liebe. Eine bewusste, ehrliche, zärtliche, dauerhafte und freiheitliche Möglichkeit, uns als Frauen und Männer und Liebende zu verstehen, zu begleiten, zu begehren, zu pflegen, zu streiten, uns beizustehen, uns zu versöhnen und zu lieben.“   (Dolores Richter, http://www.liebeskunstwerk.org)

Eine weitere Kernfrage in diesen turbulenten Zeiten des Wandels lautet:
Können wir ohne Verlust echter Individualität (die ja auch eine evolutionäre Errungenschaft bedeutet) wieder beziehungs- und gemeinschaftsfähig werden? Und sind wir bereit, uns auf ganz neue und radikale Gemeinschaftsexperimente einzulassen?

Denn Gemeinschaft ist ja einer der Grundzustände, die wir im Laufe der patriarchalen Geschichte verloren haben.

Für mich sind Erfolg versprechende Gemeinschaftsprojekte solche, in denen wir als ganzer Mensch hinein passen. Also mit unserer Berufung, mit unserer Liebessehnsucht, unserer politischen, spirituellen und erotischen Natur.

Echte Gemeinschaft unterstützt Individualität und integriert Vielfalt.
Im Alltag kann es sehr herausfordernd sein, mich in diese neue Beziehungsfähigkeit hinein zu entwickeln. Konflikte müssen ausgetragen und Grenzen kommuniziert werden, Bedürfnisse auf Augenhöhe ausgehandelt und Egos abgeschliffen.
Kommen wir drum herum? Ich denke nein.

Um uns tief mit unserer inneren Absicht und Motivation zu verbinden, haben wir als Gemeinschaft 2014 unsere hellen, konstruktiven Prinzipien gemeinsam extrahiert:
Transformation, Eros, anarchische Kooperation, Verbundenheit, Liebe, Eros und lebendiges Experiment sind kraftvolle Prinzipien, für die wir stehen.
Wir haben uns unter anderem das Ziel gesetzt, mit unserer Bildungsarbeit zu diesem tiefgreifenden Wandel beizutragen, indem wir Räume für lebendiges Lernen, Bewusstseinsentwicklung und persönliche Transformation kreieren. Damit wir Menschen von innen heraus fähig werden, eine nachhaltige Kultur zu gestalten.

Gemeinschaft ist das Abenteuer unserer Zeit. Und die größte Gemeinschaft ist unsere menschliche Familie. Schaffen wir es, miteinander und mit unserer Umwelt in Frieden zu leben oder fahren wir den Karren vor die Wand?

Wir freuen uns auf essentiellen Austausch und gemeinsames Forschen in einer turbulenten Zeit.
Herzlich Kolja Güldenberg

Kolja Güldenberg leitet im ZEGG gemeinsam mit Dolores Richter die Jahresgruppe Liebeskunstwerk
www.liebeskunstwerk.org

und gemeinsam mit Sharan Thomas Gärtner das Männerjahrestraining
www.liebe-zum-mannsein.de